Es war schön zu erleben, wie am 22. September 2013 mein Gedicht „Schließlich“ als drittes und vor meiner Palästinareise letztes Zwischenspiel in der Pause von „Maier-Lyrik“ Anklang fand. Hier ist es nochmal:

Schließlich

Die Sonne steht tief,
trifft den Kristall im Fenster.
Bunt sprüht er Farben.

Da hatte ich noch nicht ausgeplaudert, dass meine Reise durch Israel und Palästina anstand. Nach der Pause, also auch nach dieser Reise, kam es zu keiner vergleichbaren Anerkennung meiner Texte mehr, obwohl doch eine ganze Reihe davon in kürzeren Abständen als vorher erschienen. Ich kann mir das nur dadurch erklären,
dass ich mit meinen Eindrücken aus der Israel/Palästinareise meine Leserschaft gewaltig verschreckt habe.

Ist es wirklich so, dass die Probleme dieser beiden „Länder“ so sehr verwirren, dass es nicht einmal möglich ist, sich für meine Eindrücke oder gegen sie auszusprechen? Dann habe ich etwas falsch gemacht. Habe ich manches überpointiert oder so undeutlich dargestellt, dass die Leserin oder der Leser nicht damit zurecht kommen konnte?

Dass man mich schonen wollte, weil angenommen wird, sachliche Kritik könnte ich nicht vertragen, will ich nicht hoffen. Ich fühle mich also herausgefordert, eine – wenn auch kurze – zusammenfassende Übersicht über diese Reise und meine Vorstellungen dazu zu vermitteln, die meinen Standpunkt, aber auch die Punkte verdeutlichen soll, an denen auch ich eine gewisse Verwirrung nicht leugnen kann und will:

Das Schicksal der Juden, die in Europa immer wieder großen Verfolgungen und anderen Schwierigkeiten ausgesetzt waren und durch mein Volk unermessliches Unheil erlebt haben, hat mich zutiefst erschüttert, seitdem ich mich überhaupt mit der deutschen und europäischen Geschichte ausführlicher auseinandergesetzt habe, was durch mein Lehrerdasein und die Verpflichtung Geschichte zu unterrichten sehr gefordert und gefördert wurde.

Der Holocaust, dem ich in Yad Vashem auf der Israelreise wieder so eindringlich begegnet bin, ist so ein überragend schreckliches Geschehen, dass es alles Fühlen und Nachdenken bei der Reise durch Israel, aber auch durch die Westbank, der Heimat von Palästinenserinnen und Palästinensern, bestimmen musste.

Das hat natürlich zur Folge, dass ich das Schicksal des Staates Israel seit seiner Gründung bzw. schon von seinen Ursprüngen her mit besonderer Empathie betrachten musste und muss. So war es sehr eindrücklich, eine Zeitzeugin und damalige Freundin von Anne Frank zu erleben, die unserer Reisegruppe über ihre persönlichen Erfahrungen in jener schrecklichen Zeit, aber auch mit dem Leben in diesem nun für die Jüdinnen und Juden weltweit als Zufluchtsort geltenden „neuen“ Staat berichtet hat. Aber war es nicht auch für diesen Staat verräterisch, dass die alte Dame, nachdem sie gehört hatte, dass eine der Reiseleiterinnen Journalistin sei, mit durchaus verbindlicher und freundlicher Stimme ihre allgemeine Befürchtung darüber äußerte, dass die Journalisten über ihr Land wohl nichts sehr Freundliches schreiben würden und sie hoffe, dass das in diesem Fall anders sein könne?

Dabei ist Israel in vielem ein sehr erfolgreiches Land, das modernes Leben und z.B moderne Methoden der Landwirtschaft und auch utopische Gesellschaftsmodelle im Nahen Osten eingeführt hat und wohl der demokratischste Staat in dieser Region ist. Tel Aviv haben wir als moderne und lebenswerte Stadt erlebt, wie man sie sich nur erträumen kann Das heißt allerdings auch, dass wir Europäer an so einen westlich geprägten Staat auch die entsprechenden Maßstäbe anlegen und außerdem es nicht gerne sehen, dass unsere europäischen Fehlentwicklungen zu neoliberalem Machtdenken auch Israel nicht verschont haben.

Nun ist es auch noch so, dass bei Menschenrechtsfragen und Fragen des Völkerrechts Israel – gewiss durch seine schicksalhafte Geschichte bedingt – eine besonders unglückliche Hand beweist. Israel versteht sich als jüdischen Staat, was mit modernen Demokratievorstellungen nicht zusammenpasst. Das wird so niederschwellig betrieben, dass die Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse – wie Christen, Drusen und Muslime – eine große Zahl von bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten genießen und Israel nicht mit einem anderen Staat in der Region tauschen möchten. Es könnte sogar so erscheinen, als hätten sie sogar Vorrechte, nämlich dass ihre jungen Männer zum größten Teil (die Drusen im ‚eigentlichen‘ Israel ausgenommen) keinen Wehrdienst leisten müssen. Wer aber keinen Wehrdienst geleistet hat, der hat in Wirtschaft und Gesellschaft viel geringere Chancen. Und auch wenn es um die Erweiterung von überwiegend arabisch bewohnten Städten und Gemeinden geht, bestehen im Gegensatz zu jüdischen Gemeinden kaum Entwicklungschancen. Land aus israelischem Staatsbesitz darf nicht an Nichtjuden verpachtet oder verkauft werden. Wird das nicht durch die Tatsache, dass ein Bewohner Israels sich bei der Einwohnermeldebehörde nicht als Israeli, sondern entweder als Jude, Moslem, Christ oder Druse registrieren lassen kann, verdeutlicht?
Einen Teil der im Sechstagekrieg 1967 besetzten Gebiete, nämlich die Golanhöhen und Ostjerusalem hat Israel annektiert, was dem Völkerrecht widerspricht. Auf den Golanhöhen sprachen wir mit Drusen, die aber nicht israelische Pässe akzeptiert haben, sondern an ihrer syrischen Staatsangehörigkeit festhalten. Was für ein Kuckucksei haben sich die Israelis da freiwillig ins Nest geholt?

Der Eindruck der sich innerhalb Israels aufdrängt (was wir in Jaffa und Haifa bestätigt fanden), wird durch die israelische Politik in den „nur“ besetzten Gebieten der Westbank verstärkt. Wir waren dort in Nablus, in Jericho, in Bethlehem und in Hebron (mit einer ganz besonderen Lage). Seit dem Oslo-Abkommen gibt es zwar Gebiete – die großen Städte -, die direkt von der palästinensischen Autonomiebehörde verwaltet werden. In den sogenannten B- und C-Gebieten, durch welche die A-Gebiete zu Inseln werden, die durch unzählige Check Points vom übrigen Westjordanland abgeschnitten werden, haben israelische Militärbehörden das Sagen. Die arabischen Bewohner dort haben keine Chance auf irgendeine Baugenehmigung und wir haben gesehen, wie in einem Beduinendorf , das sogar vom israelischen Militär abgerissen worden war, Aktivisten aus Israel und Europa verzweifelt jedesmal die Behausungen, die in Trümmern lagen, wieder herzustellen versuchten. Dieses Geschehen, dass ganze Dörfer abgerissen werden, ist wohl der Ausdruck dafür, dass Netanjahu in den neuerlichen „Friedensgesprächen“ die israelische Präsenz im Jordantal auf Dauer behaupten will.

Israel unterstützt deshalb – aber auch sonst – sogenannte jüdische „Siedlungen“: Städte und andere Ansiedlungen, die auf dem Gebiet der Westbank errichtet werden, oft nachdem ein Gebiet zuerst zu militärischem Sperrgebiet erklärt wurde. Auf der Reise vom See Genezareth zum Toten Meer konnten wir diese jüdische Präsenz andauernd zur Kenntnis nehmen: umzäunte Gebiete, vorwiegend auf strategisch günstigen Höhen und entlang dem Jordan.

Hebron spielt dabei eine besondere Rolle. Dort wurde im A-Gebiet die Siedlungstätigkeit von Juden rund um den Begräbnisort des jüdischen und arabischen Stammvaters Abraham – mit einem in zwei Hälften geteilten Gotteshaus für Muslime und Juden – besonders forciert, so dass Bewohner eines bestimmten arabischen Viertels nur durch zwei Drehkreuze und zwei weitere Kontrollstellen (die auch wir zu Fuß passierten) zu ihrem Wohnort gelangen können. Diese neuen Siedlungsinseln sollen weiterhin ausgebaut und eine Verbindung zu Siedlungen außerhalb des A-Gebietes hergestellt werden.

Vier Nächte haben wir in Bethlehem übernachtet, was die meisten Pilgerinnen und Pilger normalerweise nicht tun, sondern von Israel eine Ausflugsfahrt mit dem Bus dorthin und am selben Tag wieder zurück unternehmen,
sodass in Bethlehem kaum Geld hängenbleibt. Hier haben wir auch besonders eindrucksvoll die meistens auf dem Boden des Westjordanlandes gebauten Grenzmauern Israels gesehen.

Da die Reise unter dem Motto ‚Grenzerfahrungen‘ stand, war eine besondere Fahrt die nach Sderot, wo es vom Gazastreifen her Raketenangriffe auf israelisches Gebiet gibt. Entsprechende Schutzvorrichtungen z.B. an Bushaltestellen, aber auch in Privathäusern zeigen, dass die Gefahr dauerhaft besteht. Trotzdem steht bei manchen Menschen dort nicht der Hass gegenüber den Palästinensern im Gazastreifen, woher die Raketen abgeschossen werden, im Vordergrund, sondern die Untätigkeit und Sturheit der israelischen Regierung. Ein – von mir aus gesehen: – Höhepunkt dort war der Besuch im Wohnzimmer einer Israelin, wo es sogar einen Telefonkontakt in den Gazastreifen gab, und der anschließende Besuch an der Grenzmauer dorthin, die auf israelischer Seite mit Friedenssymbolen und –gemälden geschmückt war, wozu wir mit kleinen Keramiktäfelche (mit Zement an die Mauer geklebt) beitragen durften.

Ach, wie sehr wünsche ich den Menschen in Palästina, zu dem ja historisch gesehen auch Israel gehört, dass sie irgendwann in einem gerechten Frieden miteinander oder wenigstens nebeneinanderher leben können. Im Augenblick scheint mir Israel die einzigen Schlüssel dazu in der Hand zu haben. Wenn dieser Staat es vermöchte, einen gerechten Ausgleich der Interessen anzustreben, müsste das keine zweifelhafte Vision sein. Auf der Seite der Palästinenser muss natürlich auch der Wille zum Kompromiss vorhanden sein. Aber sie können dabei ja eigentlich nur gewinnen. Doch auch für Israel wäre das Leben in sicheren und anerkannten Grenzen ein Gewinn.