Lyrisches von Helmut Maier

Monat: Juli 2010 (Seite 2 von 3)

Norwegen

Dem Land, wo Alltagsblüten
weit größer sind, weit edler scheinen,
dem Land, dem Wasserströme, Fjorde, Sunde
nicht fehlen an je einer Stelle,
dem Land, wo Kinderwagen
so wichtig sind wie Kraftfahrzeuge,
dem Land, wo ja für Bürgerinnen und für Bürger,
ob Arbeit Bietende oder ob Arbeit Leistende,
die Sozialversicherungsnummer zur Identität gehört,
wo jedes beiträgt nach Vermögen,
dem Land, wo es im größ’ren Teil
nur einen Tag, nur eine Nacht
im Jahre gibt, wo hurtig wird benützt für schnell,
wo ich zum ersten Mal den Gelben Frauenschuh
wild wachsend sah und Knabenkräuter
schon in Mengen, dem Land, wo Trolle
in den Wäldern wohnen und Elfen,
dem Land, wo Felsenritzungen noch künden
von Urzeiten, dem Land, wo doch die Saami
konnten überleben trotz der Bedrängung
durch die neuen Herren, die Wikinger
und ihre Erben, die heut noch herrschen,
dem Land war ich verbunden ein paar Wochen lang,
und ich muss sagen: Es hat mich fasziniert.

Daheim

Der Sternenhimmel hat mich wieder.
Ich habe wieder Tag und Nacht.
Ich singe neue Sternenlieder.
Die Reise hat mir’s beigebracht:

Nimm nichts so selbstverständlich gar,
wie du es hältst, wie es sein muss.
Es ist bestimmt nicht alles wahr,
was immer war. Das ist kein Stuss.

Aufhören wird nicht Tag und Nacht.
Das glaubte ich. Ich glaubt‘ es nicht,
dass andres als normal gemacht
sich gar erweist und mich anficht.

Der Sternenhimmel hat mich wieder.
Und prophezeit hat’s mir der Stern;
der sah vom Tagnachthimmel nieder.
Schon jenen einz‘gen hatt‘ ich gern.

Hier nun das Dunkel mag ich neu.
Es hegt mich mütterlich im Schoß.
Das ist‘s, worüber ich mich freu;
der Wechsel macht’s. Was macht der bloß?


Die folgende aufschlussreiche Antwort von Curt provoziert zu haben, erfreut mich ganz besonders:

Augenblick

Wie Augen ständig her und hin
sich unbemerkt bewegen
macht ab und zu ein Wechsel Sinn
bringt uns oft reichen Segen
damit wir nicht erblinden
um uns erneut zu finden.

Angekommen

Der Sternenhimmel hat mich wieder.
Ich bin bereit für neue Lieder.
Was an Erfahrung liegt dahinten,
wird sicher sich auch wiederfinden.

Doch erst mal ist das Ankommen beinahe aufwendiger als das Reisen. Ich melde mich dann wieder, wenn es ausgestanden ist.

Wiedersehensfreude

Oh Stern, du: Stern!
Dich seh ich nun nach Wochen
doch wieder stehn
am Himmel einer Nacht.

Ich seh dich über
einem Schildpattfelsenhügel
nicht weit entfernt
von einer Morgenröte
schon nachts um drei

nur wen’ge Meter
entfernt von wo ich noch
vor Mitternacht
die letzten Gluten
eines Abendhimmels
im Grau versinken sah.

Oh Stern, du: Stern,
nun seh ich dich
doch endlich wieder.

Dies ist mir nun
ein Zeichen einer
richt’gen Nacht!

Scharen von Schären.
Dunkelheit breitet sich aus.
Schwarz liegen sie da.

Doch die rotgoldnen Schimmer
verschwinden noch lange nicht.

Weiße Margariten

Die weißen Margariten,
ich hab sie nicht geschnitten.
Ich hab sie nicht gepflückt;
sie haben mich beglückt,
wie sie mich stets begleiteten,
so unschuldig geleiteten
die Straßen durch Norwegen
hindurch. S’kam mir gelegen,
dass es mir heimelig genug
hier in der Fremde ward
auf meiner Nordlandfahrt
auch trotz einem Betrug:
Es war nicht Mai wie ihre Zeit zuhause;
im Juli sah ich sie; da bin ich ein Banause:
Mir ist das ganz egal: ich seh sie gern,
egal um welche Zeit sich’s handelt.
Ist man einmal so fern,
man gern in dem Vertrauten wandelt.

Vorbehalt

Eine Zeitlang
durch die Fjordflächen kreuzen,
eine Zeitlang
in den silbrigen Streifen der Sonne
sich verlieren,
im Ergötzen versinken.

Doch dann wieder,
auf festem Boden angelangt,
wissen wohin zu treten
ohne Schwanken
und im Bewusstsein,
dass er trägt,
ja, zu spüren,
dass sie trägt,
die Mutter Erde.

Und sich nur noch erinnern
an die schwankenden Planken
des reinen Wohlergehens.

Vertrauen

Vertrauen in die Haltbarkeit
eingerammter Pfähle.
Sie tragen verlässlich
rotgestrichene Fischerhütten
am Ufer.

Sie tragen Verbandlungen
für lange.
Verwandlungen tragen sie
von einer Zeit in die andre.

Sie tragen Verlässlichkeit
in der Vielfalt.
Hornklee nutzt die,
wenn er sich festklammert
im moorigen Boden,
umschwärmt von Scharen
von Orchideen.

Und draußen im offenen Meer
liegen und liegen
die Schären.

Elsa Laula und der 6. Februar

Leben oder Tod?
Sie hatte die Entscheidung
nicht in der Hand.
Und doch schrieb sie an
gegen den Tod ihres Volkes.
Ihre Entscheidung trug
die Entsandten ins Treffen
in Trondheim, der Königsstadt,
angefeuert von dieser Frau,
der ersten Saami-Dichterin,
Elsa Laula Renberg aus Schweden,
deren Werke vorlagen, gedruckt.

Sie kamen zusammen 1917 aus Russland,
aus Finnland, aus Norwegen und Schweden.
Der samische Nationalfeiertag,
begeistert von diesem Treffen,
ohne die Dichterin wäre er nicht,
nicht ohne die Kühne,
die nach Stockholm reiste,
mit dem König zu reden
und ihm zu klagen das Leid,
von dessen Bewirkern er ja war
einer der großen Repräsentanten.

Mit vierundfünfzig Jahren
starb Elsa 1931 in Brønnøy
an Tuberkulose.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2024 Maier-Lyrik

Theme von Anders NorénHoch ↑