
Der Blickpunkt
Die Tulpen beherrschen den Platz.
Noch tun sie es; doch in einer Nacht
können ihre Blütenblätter schon fallen.
*ein Achtundzwanziger
Lyrisches von Helmut Maier
Noch ist nicht sehr viel zu merken
von der Ära der Gerechtigkeit.
Aber die scheint eben länger zu brauchen.
*ein Achtundzwanziger
Die Amsel auf dem höchsten Punkt,
wo sie für Menschen nicht erreichbar:
Sie trällert unverdrossen ihr Lied – für uns.
*ein Achtundzwanziger
Der Baum,
uralt steht er da,
uralt.
Der Fluss,
jede Sekunde neu.
Je schneller seine Wasser fließen.
Aber uralt.
Der Wald,
wie viele Bäume!
Uralt,
wenn nicht der Mensch ihn tötet,
die Bäume fällt,
das Feuer in ihm ausbrechen lässt.
Aber da, wo das nicht geschieht:
Uralt dastehend
wie der einzelne Baum.
Das Wasser,
ohne es kein Leben.
Uralt wie das Leben
der Menschen
und Tiere
und Pflanzen.
Wie gehen wir um mit dem Leben?
Noch ist das Leben live.
Kopfunter,
den Stamm hinab,
läuft der Kleiber,
pickt immer wieder,
wohl weil‘s was zu fressen gibt,
dreht wieder um, läuft hinauf.
Flankiert wird der Hauptstamm
von eben so kahlen
Stämmchen mit Ästen,
ganz kahl alle,
soweit ich sie sehe:
Runen, Hieroglyphen
vom Winter her,
ein ganzes Gewirr,
so sehe ich‘s.
Doch lege ich mein Gesicht
wieder tiefer,
aufs Kissen,
so explodiert
darüber,
jetzt im April,
das völlige Grün,
ein Gewirr von Zweigen
und Ästen und Ästchen,
alle bedeckt vom Grün.
Und dorthin verschwindet,
ungesehen schon,
der Kleiber
und fliegt dann doch weg.
Aber ich weiß:
er kommt wieder,
mich zu erfreuen.
Nur der Haubentaucher
störte das unüberbietbare
Blau des Himmels
vor dem Silberpappelgehölz,
das Kopf stand
auf dem glatten Spiegel
der Donau
vor und nach dem Gewitter
von zwanzig Minuten.
Und schon wieder Schnee aushalten!
Doch taut er bereits und verschwindet?
Es wäre langsam an der Zeit, finde ich!
*ein Achtundzwanziger
© 2023 Maier-Lyrik
Theme von Anders Norén — Hoch ↑