Lyrisches von Helmut Maier

KRETISCHES TAGEBUCH

Teil 1

Ein Einstiegs-Achtundzwanziger zum Thema Insel und Isolierung

Der Schmetterling auf der Insel.
Gar keine Ahnung hat er davon:
In der Weite ist er völlig isoliert.

—–

Teil 2: Am Strand

Welle, geworfene,
schön bekränzte, du:
von weit her kommt dir
deine Dynamis:
aus scheinbar uferloser Bläue
freudig heraus
und wahrhaftig
niemals verebbend.

Selbst der Entypos
auf die aufnahmebereite Netzhaut
und das Erlebnis-Zentrum
ist ja unsterblich.

Ach, gar nichts vergeht.
Gar nichts.

—–

Teil 3: Die Lage*

Die Lage gültig zu analysieren,
klären, wem tut sie gut und wem nicht:
eigentlich Lebensaufgabe.

*ein reziproker Achtundzwanziger

—–

Teil 4

Kalamaki.
Hinter dem Vorgebirge liegt das geschäftige Matala, wo einst die Hippies in den Felsenhöhlen campierten und wo heute das Business Fuß gefasst hat.

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—–

Teil 5: In Ramni*

Dem Freunde möchte ich wünschen:
Das Orangenbäumchen im Garten,
das frisch gepflanzte: möge es gedeihen.

Überstehen soll es den Sturm.
Und auch nicht minder den Winter.

*ein Janka

—–

Teil 6: Sich treffen*

Mit dem Freund im Kafeneion.
Im fremden Land Freundschaft zu pflegen:
wahrlich eine nicht alltägliche Chance.

*ein Achtundzwanziger

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Teil 7: Verwirrung

Ist viel-leicht
ein anderes Wort für Urlaub?
Und viel-schwer
eines für den Alltag?
Oder umgekehrt?

Wobei werden wir
uns bewusst,
wie schwierig die Welt
sich darstellt?

Angesichts der Toten im Meer
nicht so weit südlich von uns,
von denen wir nicht nur lesen,
sondern die sich uns aufdrängen,
wenn an die Ursachen wir denken
unseres Wohlstands?

—–

Teil 8: Meerblick

—–

Tei 9: Gespalten

Im Schatten der Tamariske.
Wohlig im Weh. Wehenden Windes.
Blau ist das Meer mit weißen Krönchen darauf.

*ein Achtundzwanziger

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Teil 10

Nicht so spektakulär wie Knossos und Archanes, aber nicht minder bedeutend sind die Ausgrabungsstätten von Festos und Agia Triada, die auf jeden Fall eine Besichtigung wert sind und auch auf unserem Programm standen. Der Diskos von Festos (Faistos) ist noch immer nicht entziffert. Aber ich hoffe und glaube, dass die Forschungen über die Donauzivilisation und die dort gefundenen Zeichen/Schriftzeichen irgendwann ein neues Licht auf die vorgriechischen Schriften auf Kreta werfen können.

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A g i a T r i a d a – Ausgrabungen eines Palastes aus der minoischen Zeit

Prachttreppe der Palastanlage von F a i s t o s

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Der Ritualweg von P h a i s t o s

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Der Diskos von Phaistos (Nachbildung)

Teil 11

Am letzten Tag vor der Weiterreise nach Paleochora bin ich – bei zugegebener sehr, sehr ruhiger See – in Kalamaki doch noch im Meer geschwommen. Es war schön – auch dass ich die Felsplatten knapp unter der Wasseroberfläche unbeschadet passieren konnte, die bei der Brandung der vergangenen Tage so gut wie unsichtbar und dadurch nicht ganz ungefährlich gewesen sind.

Am folgenden Tag geht es also weiter in die zweite Woche auf Kreta mit dem Standort in der Ferienwohnung in Paleochora. Ich freue mich auf die Lagune bzw. “Insel” von Elafonissos und die Samariaschlucht, die dort auf dem Programm stehen.

Teil 12: Eine Schwalbe

Eine Schwalbe. Hier
muss sie den Sommer
nicht mehr machen.
Oder ist das hier
doch erst Frühling?
Fliegt die Schwalbe noch
zu uns nach Hause?

Teil 13: Ewiges

Unser erster Abend in Paleochora:
Gutes Essen und wunderbare Musik
in der Taverne „Samari’a“
in altehrwürdigen Mauern
unter freiem Himmel:
Zwei kretische Musiker spielen auf:
Griechische, kretische Stücke:
Instrumentales und Gesänge.
Ich kenn’ mich da ja gar nicht aus.
(Petros könnte da
Auskunft geben, nehme ich an)
Für mich klingt alles geradezu orientalisch.
Selbst noch, als später amerikanische Protestlieder
aus der Vietnam-Zeit erklingen
und nostalgische Schlager:
Ein Schiff wird kommen.
Theodorakis klingt für mich überall durch.
Viele Jahrtausende höre ich
in den Tönen und Harmonien
aus den Zeiten
seit der ersten Hochkultur in Europa:
der „Donauzivilisation“,
deren Erbe die Minoer schon
angetreten hatten.
Vom Griechischen verstehe ich
leider kein Wort.
Ich fühle nur Inbrunst und Leidenschaft.
Ich lasse mich fallen
und lausche
und schwelge.

Teil 14

Einen frisch gepressten Orangensaft haben wir an dem Rastplatz genossen und noch jeweils einen kalten bzw. heißen Kaffee. Das hatten wir uns verdient: Wir waren bis hierher von Paleochora aus bei hohen Temperaturen dem Meer entlang nach Osten auf der Straße und dann dem unbefestigten Fahrweg nach der Route des europäischen Wanderwegs E4 folgend gewandert, bis es nur noch zu Fuß und in die Berge nach Lissos weitergegangen wäre.

Wir wandern nun wieder zurück. „Zu Hause“ koche ich Spaghetti mit Paprikagemüse.

Teil 15

Die „Insel“ Elaf’onissos an der südwestlichen Küste Kretas ist ein Erlebnis: Insel ist sie nur im Winter. Im Sommer kann sie über eine Sandbank an der Lagune vorbei (dort ist ein Vogelschutzgebiet) erreicht werden. Es ist wunderschön sowohl in der Lagune als auch im offenen Meer zu schwimmen. Und mit den vielen Sandflächen ergibt sich eine traumhafte, an die Südsee oder allermindestens an Adriastrände erinnernde Landschaft. Die vielen Tamarisken tun dem keinerlei Abbruch. Elafon’issi, wie der Ort insgesamt heißt, ist fast schon allein eine Reise wert.

Teil 16: Während der Schifffahrt zur Samari’a-Schlucht

Buschbetupfte,
ansonsten kahle
Felsflächen an der Küste.
Himmelblau untertupfte
Wolkenflächen
am Firmament.
Lilagetupfte Seelenseiten
hinter dem rosigen Lächeln
davor.

Teil 17:: In der Samari’a-Schlucht

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Teil 18: Was auch dazugehört*

Mit Blessuren die Zeit leben.
Wie erfreulich, wenn es sich ergibt,
dass eine Ärztin zur rechten Zeit da ist.

*ein Achtundzwanziger

Teil 19: Am Himmelsmeer*

Ich schaue liegend
ins azurblaue Wasser
des Himmels oben.

*ein Senryu (oder so)

Teil 20

Abschluss der Reise: Vor etwa einer Viertelstunde ist unser Condor-Flugzeug in Heraklion gestartet (18.55 Kreta-Zeit nach Plan). Wir fliegen in Richtung Athen. Rechts von uns hat meine Frau unten Santorin entdeckt – die Überreste einer minoischen Dependence oder so.

Auf der Fahrt von Paleochora nach Heraklion haben wir in Rethymno am Venezianischen Hafen Pause gemacht und „venezianische“ Pasta gegessen.

Gestern haben wir noch ein Stück E4 bezwungen: von Souya bis oberhalb von Lissos (das also ein noch offenes Ziel ist) und zurück. Die Wanderung führte durch eine großartige Schlucht, die manchmal der Samaria-Schlucht gleichkommt – allerdings zur Zeit ohne wasserführenden Bach.

Vorgestern haben wir eine Fahrt durch die Berge unternommen und uns an den prächtigen Oleander-Reihungen in den Tälern und den wunderbaren Ausblicken von den Höhen erfreut. In Elos habe ich das erste Mal in meinem Leben Okra-Gemüse (Bamies: Gemüse-Eibisch) gegessen. Es sei gut gegen Krebs, las ich im Internet.

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Am Eingang zu unserem Domizil in der zweiten Hälfte des Kreta-Aufenthalts

Rethymno

Schlucht

Lissos

Oleander

Berge

Letzter Teil: Abschied von Kreta

Kreta,
lebendiges Artefakt,
quicklebendiges,
ans Herz gehendes,
mich verwöhnendes,
mit deiner Musik, deinem
Die-Sinne-Erwärmen,
deiner Schönheit und
deinem schroffen
Erstaunen-Machen,
ja, und deinem Echo auf uralte Kulturen,
die mich erschüttern im Innersten,
und dann dein Sein.
Ich habe Abschied genommen.
Bis womöglich
irgendwann wieder
als Ziel meiner Sehnsucht!

4 Kommentare

  1. Edith

    DAS würde ein fantastisch, herrliches Erinnerungsbüchlein geben. Und wenn es nur für dich/euch wäre. Schau mal bei epubli.de, da kann man nur drucken lassen, muss nicht veröffentlichen. Ich habe gerade mein 28. Büchlein fertig.
    Herzlichst, Edith

  2. Helmut

    Das muss ich mir doch mal (wieder) durch den Kopf gehen lassen! Vielen, vielen Dank für den Hinweis, liebe Edith!

    Ganz liebe Grüße
    Helmut

  3. Holger

    „Hinter dem Vorgebirge liegt das geschäftige Matala“

    Europa wurde nach der Europa aus der griechischen Mythologie. Es heißt, dass Zeus (als Stier) mit der Europa auf seinem Rücken in Matala ankam -> https://www.mythologie-antike.com/t85-europa-in-der-griechischen-mythologie-ist-die-tochter-von-konig-agenor-und-mutter-von-minos-rhadamanthys-und-sarpedon

  4. Helmut

    Tja, der Stier: der Zeus; eben ein Gott, der „oberste“, einer unter vielen in der Welt. Ja, interessant, aber für mich nicht genug.

    Liebe Grüße, Holger.
    Helmut

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