Lyrisches von Helmut Maier

Schlagwort: Theorie der Lyrik (Seite 2 von 6)

Die Natur und die Natur des Künstler*innen-Daseins (auch dessen von Lyriker*innen)

Vielleicht spricht uns die Natur – zum Beispiel jetzt in der Osterzeit in Form der Narzissen – deshalb so stark an, weil ihre so oft in Schönheit erscheinende Selbst-Identifikation so unhinterfragt daherkommt, während unser Narzissmus sich ständig mit dem Vorwurf auseinandersetzen muss, dass er krankhaft sei oder mindestens sein könne. Aber was wäre ein Künstler*innen-Dasein ohne eine eigene innerpsychische Instanz eines „gelingenden Narzissmus“?
(Siehe Wikipedia unter ‚Narzissmus‘: „Geglückter „Narzissmus wäre dadurch gekennzeichnet, dass sich das Subjekt durch [das] Bild [eines/r realen Anderen] als geliebtes Vorbild liebend ergreifen lässt“.Damit träte in Form narzisstischer Identifikation an die Stelle reiner Selbstbezogenheit die „Verinnerlichung einer (intersubjektiven) Beziehung“. In diesem Sinn leistet der Narzissmus nicht nur einen notwendigen Beitrag zur Ich-Bildung (Freud) überhaupt, sondern zur innerseelischen Strukturbildung des Selbst, indem es dieses als Instanz etabliert.)

Schluss mit Gedichten im Unterricht?

In Spiegel ONLINE vom Sonntag, 18.01.2015 – 12:55 Uhr (https://www.spiegel.de/schulspiegel/pressekompass-zu-schulkritik-via-twitter-von-naina-a-1013571.html) wird auf die Frage eingegangen, ob es nicht besser sei, in der Schule Mietrecht und Versicherungskunde zu lernen – statt Geschichte und Lyrik. Die Schülerin Naina hatte via Twitter eine entsprechende Debatte losgetreten.

Ich fürchte, dass bei mehr Gewicht auf Steuer-, Miet- oder Versicherungsrecht im Unterricht genauso nur Faktenwissen eine Rolle spielen könnte wie bei dem jetzigen Schwerpunkt auf Geschichte und Literatur. Wirklich wichtig ist doch, dass Schülerinnen und Schüler lernen , dass Mieten, Steuern und Versicherungen keine ewig gültigen Regelungen darstellen, warum es sie so und nicht vielleicht besser anders gibt. Diese Fähigkeiten etwas zu beurteilen lassen sich vielleicht genauso gut mit Hilfe von Gedichten oder durch Beurteilung von geschichtlichen Situationen lernen. Die lassen das womöglich eher zu als „reale“ Gegenwartsgegebenheiten, welche eine normative Kraft des Faktischen entwickeln und sich als ewig gültig in die Gehirne einbrennen, obwohl sie vielleicht völlig ungerecht sein können.

Notwendigkeit einer Selbstrezension

Auf Grund verschiedener Kommentierungen (sogar meiner eigenen 🙁 ) an verschiedenen Stellen bin ich zu dem Schluss gekommen, meinen Beitrag „Wider die Gefahr (gegen die wirkliche)“ selber rezensieren zu müssen:

Mein Text scheint nicht das Gelbe vom Ei zu sein. Das hängt vielleicht einerseits damit zusammen, dass sein Erscheinen so kurz nach dem schrecklichen Attentat auf Charlie Hebdo lag, das alles überlagerte, was ich auszudrücken versuchte. (Dazu nachher noch was!). Andererseits habe ich wohl zu sehr damit gerechnet, dass Ihr Leser_innen mir beim Denken um ein paar Ecken herum folgen würdet. M i r ging es n i c h t darum, den Terror jeglicher Art (also auch den gegenüber Charlie Hebdo bzw. die Freiheit des Wortes) mit dem Vergleich/der Metapher „Vulkan“ plastisch zu machen. Das kann man vielleicht mit gutem Recht. Ich wollte auch n i c h t – schon g a r nicht – der Prophetie eines Ausbruchs dieses „Vulkans“ Recht geben. Dieses vermeintliche „Recht“ werden die Anhänger von Pegida für ihre „Spaziergänge“ bzw. „Trauermärsche“ rechthaberisch in Anspruch nehmen. M i r war es ganz im Gegensatz dazu darum zu tun, die Widersprüchlichkeit des Redens jener Agitatoren zu entlarven (was mir offenbar nicht gelungen ist), indem ich d e r e n inhärente Metapher vom Vulkan ad absurdum führen wollte, der ja irgendwann ausbrechen m ü s s e. Ich wollte das damit erreichen, dass ich ihre Ineinandersetzung von Islam und Islamisierung als höchlich verzerrend entlarven wollte – und das zwar damit, dass ich die Begriffe Vulkan und Vulkanisierung genauso zusammenstellte, was sich ja in diesem Zusammenhang bei genauerer Betrachtung als total u n s i n n i g herausstellen müsste, so wie die Behauptung, ein paar Prozente von Anhängern des Islam könnten oder die Mehrheit davon wollte sogar Europa islamisieren. Dadurch dass ich noch die Vulkaniseure ins Spiel brachte, wollte ich das noch verstärken. Und die Einführung der Schläfer einer antiken Religion: der Anhängerschaft des römischen Gottes Vulkan sollten das zusammengewürfelte Argumentationsschema von Pegida als lächerlich darstellen. Die Wut der Pegida-Bewegung, wie ich sie persiflierend dargestellt habe/darstellen wollte, ist möglicherweise übertrieben, aber als durchaus wahrnehmbar erlaubt, finde ich. Tja, ob ich nun mehr Licht ins Dunkle gebracht habe? Ich hoffe es.

Weitere Überlegungen

zum Aphorismus 5/14
Gespeichert unter: Aphorismen — 3. Dezember 2014 :

Wer nicht gerne das Zeitlos zieht, hat es gerne zeitlos.:

Da es sich in diesem Satz eindeutig um ein Wortspiel handelt, könnte durchaus bezweifelt werden, ob es sich dabei wirklich um einen Aphorismus handelt. Das Zeitlos (wenn ich dieses Wort prägen darf; es steht ja nicht im Duden) haben wir ja im Prinzip alle gezogen. Das Adjektiv “zeitlos” wäre dann natürlich ein Paradox dazu. Es hat ja vielleicht überhaupt etwas Paradoxes an sich: gibt es doch wohl nichts, was nicht irgendwie der Zeit unterworfen ist. Gewiss gibt es etwa ‘zeitlose Mode’. Das gilt aber selbstverständlich nur für eine gewisse Zeit, nicht für dauernd; sonst wäre es ja auch unsinnig von Mode zu sprechen, die ja per definitionem etwas dem Wandel Unterliegendes darstellt.

Und doch dürfen dem Gedanken des angesprochenen Aphorismus – wie ich meine zu Recht – die Attribute schön, gut und passend zuerkannt und ihm damit sein Recht gegeben werden. Wahrlich, wir haben es gerne zeitlos, wenn wir an die oft unerträgliche Vergänglichkeit gemahnt werden. Dagegen hat allerdings Veränderung durchaus einen Reiz, ja geradezu eine Notwendigkeit für sich. Ohne sie gäbe es kein Wachstum, keine Reifung. Wie arm wäre da die Welt! Nur, wenn uns das Zeitlos gegen unseren Willen zugeschoben wird, dann wollten wir es womöglich gerne loswerden. Wir wollen dagegenarbeiten, unseren Status behaupten, bewahren, was wir erreicht haben.

Wahrscheinlich müssen wir in dieser Paradoxie leben und dabei flexibel bleiben – und dankbar für alles Schöne: das erreichte und das bevorstehende. Wenn uns dabei verbunden mit einem Schmunzeln mein der Paradoxie verpflichtetes Wortspiel helfen kann, dann ist es wahrhaft ein Aphorismus, ein Satz, der uns manche Situation beleuchten und vielleicht sogar erhellen kann.

Versuch einer (teilweisen) Selbstrezension

Im Kommentar zu dem Beitrag „Spätherbst“* hat mir Monika Meise eine schwierige Aufgabe zum Text gestellt – mit der Frage: Was bedeutet (hier) “hexenmäßig”? Ich habe darauf folgendermaßen geantwortet:

Ich meine, manches ergibt sich aus dem Text:

Zerzupft ist die Hexenmütze, keck lugt sie hervor – und das hinter dem
Pfarrhausdach, gewärtig des hässlichen Erbes der Kirche(n), das den
Begriff “Hexe” herabgewürdigt hat von der Heilerin zur schädlichen
Verräterin und Verführerin(so wie die Herrschenden heute noch mit
Mahner_innen und Kritiker_innen umgehen). Dabei ist das hexenmäßig
stupfelige Gestrüpp der Baumkrone dasjenige, das die Hoffnung auf das
neue Grün im Frühling auch noch in dieser immer kälter werdenden
(Jahres)zeit sichtbarlich aufrechterhält, obwohl das dann womöglich als
keck gilt. Ja, also genügt das? Ich hoffe doch.

Sei herzlich gegrüßt
(und habe Dank für die Nachfrage, die mir manches von dem bewusst gemacht hat, was wohl unbewusst in den Text eingeflossen ist).

* Hier der Text, um den es oben ging:

Spätherbst**

Ginkgo im gelben Festtagskleid.
Drüber nacktes Geäst am Himmel.
Hinter dem Pfarrhausdach lugt keck was hervor:

Zerzupfter Zipfelmütze gleich
hexenmäßig das Dauergrün.

**ein Janka

In Verbundenheit
Helmut

Achtundzwanziger und Janka

Auf facebook habe ich versprochen, dass hier heute geklärt wird, was ein Janka ist. Dazu muss ich auch erklären, was ein Achtundzwanziger ist. Deshalb hier für beides jeweils auch e i n Beispiel:

1. Der Achtundzwanziger

Ein Achtundzwanziger ist ein Dreizeiler wie ein Haiku oder ein Senryu. Er hat aber nicht nur siebzehn Silben wie diese japanische Gedichtform, sondern achtundzwanzig Silben, was mehr Freiheit der Gestaltung zulässt. Das Schema ist dabei nicht wie beim Haiku 5 – 7 – 5 Silben, sondern 8 – 9 – 11 Silben. Der Achtundzwanziger ist auch nicht inhaltlich festgelegt auf Natur (wie der Haiku) oder auf Persönliches (wie der Senryu). Das lässt vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten zu, ohne auf die Festlegung auf Silbenlängen der Zeilen und so eine straffe Führung bei der Erstellung des Textes zu verzichten. Die Gedichtform des Achtundzwanzigers wurde von mir, Helmut Maier, entwickelt. Beispiele sind auf dem Blog Maier-Lyrik ( https://www.maier-lyrik.de/blog ) unter der Kategorie „Deutsche Dreizeiler“: https://www.maierlyrik.de/blog/category/deutsche-dreizeiler/ zu finden.

Der Achtundzwanziger hat auch schon Freundinnen gefunden, die inzwischen selber ganz großartige Beispiele geliefert haben. Erwähnen will ich hier besonders Syntaxia, die auf ihrer Webloggia ( https://webloggia.wordpress.com/ ) eine eigene Archivkategorie eingerichtet hat: https://webloggia.wordpress.com/category/dreizeiler-achtundzwanziger-nach-helmut-maier/ – wie auch Christin v. Margenburg ( https://colorsigns.wordpress.com/ ) hier: https://de.wordpress.com/tag/28-er/. Auch bei Andrea, alias „die Suppenköchin“ (https://kreadiv.wordpress.com/) findet sich eine größere Zahl wunderschöner 28er, wie z.B. hier: https://kreadiv.wordpress.com/2011/07/26/ein-kleiner-gedanke-in-versform/#comments.

Inzwischen hat ‘der Emil’ ( https://deremil.wordpress.com/ ) sich äußerst erfolgreich mit dem 28er auseinandergesetzt und ist kreativ mit ihm umgegangen. Nachdem er hier ( https://deremil.wordpress.com/2011/09/27/28er-n-270-oneaday/ ) bereits so etwas wie ein 28er Lehrgedicht geschrieben hat, war dies hier bisher wohl der Höhepunkt: Unter dem Titel “Jahreshoffnung” hat er hier: https://deremil.wordpress.com/2012/01/07/sechszeilig-007/ einen sechszeiligen “Doppel-Reziprok-28er” veröffentlicht und damit etwas völlig Neues geschaffen.

(Ich freue mich übrigens ungemein, wenn ich von weiteren Erfolgen meines 28ers bzw. Erfolgen mit meinem 28er erfahre.)

DAFÜR FOLGENDES BEISPIEL:

Erfüllung

Unser Rosmarinstrauch im Topf
auf unserer Sonnenterrasse:
Dieses Jahr treibt er wunderblaue Blüten.

2. Der Janka

Janka nenne ich die Gedichtform des in der Art des japanischen Tankas (als um zwei Zeilen erweitertes Haiku) erweiterten Achtundzwanzigers. Zu diesem siehe https://www.maierlyrik.de/blog/der-dreizeiler-mit-dem-namen-achtundzwanziger/ .
Anders als beim Tanka bestehe ich nicht auf bestimmter Zeilenlänge der beiden Ergänzungszeilen. Sie sollten aber etwa im Rahmen der Zeilenlängen des 28ers liegen. DAFÜR FOLGENDES BEISPIEL:

Vor dem Himmelblau

Genügend mich zu entzücken,
ohne mir überdrüssig zu sein:
das zarte Rosa in den Apfelblüten.

So berühren sie mich noch mehr
als das Schneeweiß der Kirschenblüten.

Ich hoffe, das gefällt.

Vom Dichten – eine weitere lyriktheoretische Kurzüberlegung

Ich glaube nicht, dass die dichtende Zunft Wirklichkeit verändern darf (und auch nicht will), wenn dabei eine Verfälschung der Wirklichkeit entsteht. “dicere”, von dem “Dichten” herkommt, deutet ja darauf hin, dass dabei etwas Wichtiges, Richtiges “gesagt” wird. Nur wer wirklich etwas zu sagen in der Lage ist, was Bestand hat, gehört zu den Dichterinnen und Dichtern. Es ist genau zu unterscheiden, inwiefern nur geschrieben oder gedichtet wird.
Das Verb “erdichten” dürfte also nicht benützt werden, wenn Wirklichkeit verfälscht, sondern wenn neue Wirklichkeit(en) geschaffen werden.

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2024 Maier-Lyrik

Theme von Anders NorénHoch ↑